Nach der Markteinführung eines Medizinprodukts endet die Verantwortung des Herstellers nicht – im Gegenteil, sie beginnt erst richtig. Post Market Surveillance (PMS) spielt eine entscheidende Rolle, um langfristig Sicherheit, Leistungsfähigkeit und Compliance sicherzustellen.
Doch traditionelle PMS-Methoden erfassen oft nicht alle relevanten Nutzungsmuster und Risiken. In diesem Artikel erfahren Sie, warum Nutzerforschung eine wertvolle Ergänzung zu klassischen PMS-Daten darstellt und wie sie helfen kann, Ihr Produkt kontinuierlich zu optimieren.
1. Ein kurzer Recap: Was ist Post Market Surveillance und was muss ich als Hersteller tun?
Post Market Surveillance (PMS) ist eine regulatorische Anforderung, die Hersteller von Medizinprodukten verpflichtet, ihre Produkte auch nach der Markteinführung systematisch zu überwachen. Ziel ist es, sicherzustellen, dass Produkte weiterhin den Sicherheits- und Leistungsanforderungen entsprechen und potenzielle Risiken frühzeitig erkannt werden.
Hersteller müssen dafür verschiedene Maßnahmen ergreifen:
- Daten aus der realen Nutzung sammeln, um mögliche Sicherheits- und Leistungsprobleme zu identifizieren.
- Regelmäßige PMS-Berichte erstellen, um die gesammelten Daten zu analysieren und gegebenenfalls Maßnahmen abzuleiten.
- Korrekturmaßnahmen einleiten, falls Probleme erkannt werden, um die Sicherheit und Effektivität des Produkts zu gewährleisten.
Viele Unternehmen setzen hierbei auf klassische Methoden der Datengewinnung. Doch reicht das aus?
2. Die Grenzen klassischer PMS-Daten
Viele Hersteller setzen vor allem auf passive Datenquellen, um Vorfälle zu erfassen. Dazu gehören:
- Complaint-Systeme: Dokumentation von Beschwerden durch Kunden und Anwender.
- Adverse Event-Datenbanken: Berichte über unerwünschte Ereignisse, gesammelt von Behörden oder Krankenhäusern.
- Hotlines und Service-Portale: Nutzer können allgemeine Probleme, Fragen oder Verbesserungsvorschläge melden.
Diese Quellen sind wertvoll, da sie kontinuierlich Daten liefern. Doch sie haben einen entscheidenden Nachteil: Probleme werden nur erfasst, wenn sie aktiv gemeldet werden. Viele (sogenannte latente) Fehler bleiben unentdeckt, weil sie nicht als schwerwiegend wahrgenommen oder schlichtweg nicht gemeldet werden.
Seit vielen Jahren gibt es daher die Forderung verschiedener Organisationen, aktive Methoden in der Post Market Surveillance (PMS) einzusetzen. Ein Beispiel ist das Whitepaper der BSI „Effective post-market surveillance“ von 2014 (Quelle), das bereits früh die Bedeutung proaktiver PMS-Maßnahmen betonte. Auch der GAO-Report von 2024 (Quelle) fordert den verstärkten Einsatz aktiver PMS-Methoden, insbesondere durch eine bessere Datennutzung aus realen Anwendungssituationen.
Die WHO „Guidance for post-market surveillance and market surveillance of medical devices, including in vitro diagnostics“ von 2021 (Quelle) erwähnt zudem die Beobachtung von Nutzenden beim Training als eine ergänzende PMS-Methode.
Auch wir schlagen vor, Nutzerforschung systematisch in PMS zu integrieren, um latente Probleme frühzeitig zu identifizieren. Doch warum ist das so?
3. Warum Nutzerforschung eine entscheidende Ergänzung ist
Nutzerforschung ist ein systematischer Ansatz, bei dem quantitative und qualitative Methoden kombiniert werden, um:
- Die Nutzer und ihre Bedürfnisse zu verstehen,
- Das Arbeitsumfeld zu analysieren,
- Die Interaktion mit dem Produkt zu untersuchen.
Zu den Methoden gehören:
- Beobachtungen: Analyse des Nutzerverhaltens in der realen Umgebung.
- Interviews: Direkte Gespräche liefern tiefere Einblicke in Herausforderungen und Bedürfnisse.
- Metriken: Quantitative Kennzahlen ergänzen das Verständnis der Nutzung.
Im Gegensatz zu passiven (reaktiven) PMS-Daten liefert Nutzerforschung einen umfassenderen Einblick in die Nutzungssituation. Das ermöglicht, latente Probleme frühzeitig zu entdecken.
4. Konkrete Vorteile der Nutzerforschung für PMS
Als UX-Agentur, die Hersteller bei der Nutzerforschung unterstützt, sehen wir folgende Vorteile:
1. Latente Fehler frühzeitig erkennen
Beispiel: In einer Usability-Studie stellte sich heraus, dass Nutzer häufig einen kritischen Kalibrierschritt überspringen, weil er nicht klar kommuniziert wurde. Solche Fehler bleiben in Complaint-Systemen oft unsichtbar.
2. Korrekturmaßnahmen proaktiv umsetzen
Das frühzeitige Entdecken von Problemen ermöglicht präventive Maßnahmen – bevor schwerwiegende Konsequenzen entstehen. Dies spart Kosten und schützt die Reputation des Unternehmens.
3. Stärkere Kundenbindung
Die direkte Integration von Nutzenden in den Entwicklungsprozess zeigt, dass ihre Meinung wertgeschätzt wird. Dies fördert die Kundenbindung und trägt dazu bei, dass Produkte als maßgeschneiderte Lösungen wahrgenommen werden, die spezifisch für ihre Bedürfnisse optimiert sind.
4. Produktqualität nachhaltig verbessern
Neben Sicherheitsaspekten können auch Schwächen in der Gebrauchstauglichkeit aufgedeckt werden. Verbesserungen in diesen Bereichen erhöhen die Zufriedenheit und Effizienz der Nutzer.
5. Nachweisbare Erfüllung regulatorischer Anforderungen
Mit Nutzerforschung wird nachweisbar, dass ein Hersteller nicht nur die Mindestanforderungen erfüllt, sondern darüber hinausgeht. Dies erleichtert die Argumentation gegenüber benannten Stellen im PMS-Report und stellt sicher, dass das Unternehmen auf der sicheren Seite steht.
6. Gewinnung von „positiven“ Daten
Während klassische PMS-Methoden vor allem negative Daten zu Fehlern oder Zwischenfällen liefern, ermöglicht integrierte Nutzerforschung eine breitere Datenerhebung. Neben Problemstellen erhalten Hersteller auch Rückmeldungen zu besonders gelungenen Aspekten ihres Produkts sowie Verbesserungsvorschläge, die nicht zwingend kritische Mängel betreffen.
Zudem kann wertvolles Wissen zur Nutzung im Vergleich zu Konkurrenzprodukten gesammelt werden. Diese Erkenntnisse sind entscheidend für die Entwicklung der nächsten Produktgeneration, da sie gezielt zeigen, welche Features benötigt werden und welche nicht – das spart Zeit und Kosten.
7. Direkte Rekrutierung für zukünftige Usability-Studien
Durch den regelmäßigen Kontakt mit Nutzern im Rahmen der Nutzerforschung entsteht ein Pool potenzieller Teilnehmer für die Usability-Tests künftiger Produktgenerationen. Dies erleichtert die Planung und Durchführung von Studien erheblich.
5. Fazit: Nutzerforschung als unverzichtbarer Bestandteil der Post Market Surveillance
Die klassische Post Market Surveillance liefert wertvolle Daten – aber sie reicht nicht aus, um ein vollständiges Bild der realen Nutzung Ihres Produkts zu erhalten. Latente Fehler, Optimierungspotenziale und echte Nutzungshürden bleiben oft unsichtbar, wenn Hersteller sich nur auf Complaint-Systeme und gemeldete Vorfälle verlassen.
Nutzerforschung schließt diese Lücken. Sie liefert tiefergehende Einblicke, deckt unerkannte Probleme auf und hilft, frühzeitig gezielt zu optimieren – bevor es zu regulatorischen oder sicherheitskritischen Herausforderungen kommt. Darüber hinaus ermöglicht sie nicht nur eine bessere Produktqualität und Kundenzufriedenheit, sondern auch eine stärkere Marktposition durch fundierte Produktverbesserungen.
Wie integriert Ihr Unternehmen Nutzerforschung in die PMS? Falls Sie dabei Unterstützung benötigen, helfen wir Ihnen gerne weiter – mit unserer Erfahrung in Usability-Studien, Nutzerinterviews und realitätsnahen Tests für Medizinprodukte und IVDs.
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