Zwei wesentliche Treiber in der Entwicklung von Medizinprodukten sind medizinische und technische Innovation. Allerdings garantieren Innovation in diesen Bereichen noch keinen Erfolg. In den letzten Jahren wurde es immer wichtiger, das Produkt nahtlos in den Alltag der Nutzenden zu integrieren. Genau hier spielt die User Experience (UX) eine immer größere Rolle.
Doch was ist überhaupt die User Experience und wie unterscheidet sie sich von der Usability? Und wie stellt man sicher, dass das eigene Medizinprodukt eine herausragende UX aufweist?
Genau darum geht es in diesem Artikel. Wir möchten Ihnen 7 UX Design Fehler aufzeigen, die einer herausragenden UX im Wege stehen. Doch lassen Sie uns mit den Begriffen starten.
Was sind Usability und User Experience?
Die Usability beschreibt, wie effektiv, effizient und zufriedenstellend ein Produkt verwendet werden kann. Eine herausragende Usability bedeutet, dass Nutzende Ihre Ziele mit dem Produkt schnell erreichen und dabei keine Fehler machen. Usability ist durch regulatorische Vorgaben wie die IEC 62366-1 vorgeschrieben und ein zentraler Bestandteil der Konformitätsbewertung.
Die User Experience (UX) geht darüber hinaus und umfasst das gesamte Nutzungserlebnis. Sie umfasst auch alle Emotionen bezüglich des Produkts. Eine herausragende UX hat ein Produkt dann, wenn die Nutzenden es lieben und nicht mehr hergeben wollen. Dabei ist es egal, ob es sich bei den Nutzenden um Laien oder Ärzte handelt.
Wenn Sie tiefer einsteigen möchten, finden Sie hier einen Artikel über Usability und hier einen über User Experience. Wir wollen uns jetzt allerdings mit typischen UX Design Fehlern und deren Vermeidung beschäftigen.
UX Design Fehler 1: Unzureichende oder verspätete Nutzerforschung
Wir haben es ja bereits in der Einleitung geschrieben: für eine herausragende UX müssen Nutzende das Produkt lieben. Um das in der Praxis zu erreichen, ist es fundamental wichtig, frühzeitig Nutzende einzubeziehen.
Typische Fehler:
- Entwicklungsteams verlassen sich zu sehr auf Annahmen über die Nutzenden und die Nutzung.
- Nutzende werden viel zu spät einbezogen. Im schlimmsten Fall erst zur summativen.
- Echte Nutzungsanforderungen fließen nicht in das Design ein.
Das Ergebnis sind typischerweise Bedienabläufe, die auf der Technik und nicht den Nutzenden basieren. Damit wird eine herausragende User Experience nahezu unmöglich.
So geht es besser:
- Frühzeitige Einbindung der Nutzenden durch iterative Tests in frühen Entwicklungsphasen.
- Methodische Nutzerforschung einsetzen, um reale Bedürfnisse zu verstehen – z. B. durch Interviews, Beobachtungen und Usability-Tests.
- Prototypen regelmäßig testen und Designentscheidungen auf Basis realer Nutzungsszenarien treffen.
UX Design Fehler 2: Die Bedienabläufe passen nicht zu den Abläufen der Nutzenden
Die Basis eines jeden User Interfaces sollte sein, dass die Abläufe zu den Aufgaben der Nutzenden passen. Hierdurch wird sichergestellt, dass sich Nutzende zurecht finden. Zudem haben sie das Gefühl, dass sie sich nicht an die Technik anpassen müssen.
Typische Fehler:
- Die wichtigsten Bedienabläufe sind nicht einfach zugänglich.
- Die wichtigsten Bedienabläufe haben aus Sicht der Nutzenden ungewöhnliche Schritte oder einen abweichenden Ablauf.
- Benötigte Informationen für einen Bedienablauf finden sich an verschiedenen Stellen des User Interfaces
Ineffiziente Bedienabläufe sorgen für Frustration. Sie können zudem dazu führen, dass die Bearbeitung langsamer passiert als eigentlich möglich. Gerade für Medizinprodukte ist das nicht wünschenswert oder gar gefährlich.
So geht es besser:
- Die wichtigsten Aufgaben sollten leicht und schnell zugänglich sein. Das kann beispielsweise durch Direktzugriffe oder eine effiziente Menüstruktur erreicht werden.
- Passen Sie die Bedienabläufe an die Aufgaben der Nutzenden an – und nicht umgekehrt.
- Sorgen Sie dafür, dass Bedienabläufe alle Informationen und Funktionen enthalten, die Nutzende zum Abschluss benötigen.
UX Design Fehler 3: Funktionsvielfalt über Nutzerfreundlichkeit stellen
Viele Medizinprodukte bieten eine Vielzahl an Funktionen. Diese Komplexität sollte jedoch keinenfalls zu einer komplexen Bedienoberfläche führen.
Typische Fehler:
- Die Benutzeroberfläche zeigt zu viele Informationen gleichzeitig an. Es findet keine Priorisierung nach Aufgaben statt.
- Die Navigation und die Menüführung sind unübersichtlich. Häufig genutzte Funktionen sind schwer auffindbar.
- Wichtige Aufgaben erfordern zu viele Schritte.
Ein zu komplexes Design führt dazu, dass Nutzende mehr Zeit für Routineaufgaben benötigen und schneller ermüden. In stressigen Situationen steigt das Risiko für Fehlbedienungen, die im medizinischen Umfeld gravierende Folgen haben können.
So geht es besser:
- Eine klare Informations- und Funktionshierarchie schaffen: Integrieren Sie nur, was für die Aufgaben der Nutzenden benötigt wird.
- Eine klare Informations- und Funktionshierarchie schaffen Teil 2: Strukturieren Sie die Inhalte nach den Aufgaben
- Reduzieren Sie die Komplexität ggf. durch Nutzerrollen. Nicht jede Person benötigt jede Funktion.
UX Design Fehler 4: Inkonsistenz im User Interface
In der Praxis kommt es immer wieder dazu, dass User Interfaces nicht konsistent gestaltet sind.
Typische Fehler:
- Unterschiedliche Symbole und Farben für dieselben Funktionen.
- Gleiche Symbole und Farben für unterschiedliche Funktionen.
- Uneinheitliche Platzierung von Bedienelementen auf verschiedenen Screens.
- Fehlende einheitliche Sprache und Terminologie.
Nutzende müssen ein User Interface erlernen. Umso leichter das fällt, umso besser ist die User Experience. Inkonsistenzen verlangsamen oder verhindern den Lernprozess. Die Folge sind Fehler und eine sinkende User Experience.
So geht es besser:
- Ein Designsystem entwickeln, das Farben, Symbole, Schriftarten und Interaktionselemente klar definiert.
- Einen einheitlichen Aufbau des UIs auf Basis eines Design-Grids (Rastersystem) nutzen, damit Nutzende sich schnell zurechtfinden.
- Die Sprache der Nutzenden für Begrifflichkeiten wählen und konsistent einsetzen
Die Schaffung von Konsistenz hat neben der Verbesserungen für die Nutzenden noch weitere Vorteile. Beispielsweise geht die technische Entwicklung schneller, da auch hier gleiche Elemente immer wieder eingesetzt werden können.
UX Design Fehler 5: Fehlende (gute) Rückmeldungen an Nutzende
Ein gutes User Interface sorgt dafür, dass Nutzende immer genau wissen was als nächstes passiert und was sie dafür tun müssen. Es gibt also klare Rückmeldungen.
Typische Fehler:
- Nach einer Aktion gibt es keine Bestätigung, sodass Unsicherheit über den Status entsteht.
- Fehlermeldungen sind unklar oder nicht hilfreich, sodass Nutzende nicht wissen, wie reagiert werden soll.
- Warnungen oder Alarme sind zu subtil und werden übersehen.
Fehlende oder schlecht gestaltete Rückmeldungen können zu Unsicherheit führen. Insbesondere bei Warnungen und Fehlern kann das zu zusätzlichem Stress und Fehlern führen. Für eine herausragende Usability und User Experience muss das unbedingt vermieden werden.
So geht es besser:
- Visuelles, akustisches oder haptisches Feedback nutzen, um wichtige Statusmeldungen eindeutig zu kommunizieren.
- Warnungen so gestalten, das sie in realen Situationen wahrgenommen werden können. Sie sollten zudem Nutzende anleiten, die richtigen Schritte einzuleiten.
- Auch Fehlermeldungen müssen so gestalten werden, dass sie verständlich sind und konkrete Lösungsvorschläge bieten.
UX Design Fehler 6: Die Optik in den Vordergrund stellen
Für viele wird eine herausragende UX mit einem „Schönmachen“ am Ende der Entwicklung gleichgesetzt. Das die Rechnung nicht aufgeht, haben wir bereits in den Punkten vorher verdeutlicht. Eine weitere Gefahr liegt allerdings in dem Fokus auf die Optik.
Typische Fehler:
- Langatmige Animationen, die Nutzende Zeit kosten
- Schöne Farben wählen, die keine ausreichenden Kontraste z.B. zu Text aufweisen.
- Aufgrund der Optik z.B. auf grelle Warnfarben verzichten.
Für eine herausragende User Experience ist auch eine tolle Optik wichtig. Allerdings darf diese nicht wichtiger sein als die Usability. Die visuelle Gestaltung sollte – wie auch der Rest des User Interfaces – die Nutzenden bei der Aufgabenbearbeitung unterstützen.
So geht es besser:
- Die visuelle Gestaltung unterstützt die Nutzenden bei der Aufgabenbearbeitung.
- Animationen werden sinnvoll eingesetzt. Nutzende sollten damit beispielsweise besser verstehen was gerade passiert.
- Das User Interface ist aus Sicht der Nutzenden schön gestaltet ohne Rückschritte bei der Usability
UX Design Fehler 7: Unverständliche oder unzureichende Anleitungen
Auch wenn das Ziel immer ein selbsterklärendes User Interface ist, wird bei Medizinprodukten eine Bedienungsanleitung (Instructions for Use, IFU) gebraucht. Unklare oder überladene Anleitungen erhöhen das Risiko für Bedienfehler und führen schnell zu Frustration bei den Anwendern.
Typische Fehler:
- Zu lange und komplizierte Texte ohne klare Struktur.
- Fehlende visuelle Hilfen oder interaktive Elemente.
- Keine einfachen Schritt-für-Schritt-Anleitungen für zentrale Funktionen.
Unstrukturierte oder schwer verständliche Anleitungen führen typischerweise dazu, dass sie nicht verwendet werden. Damit gehen alle Informationen verloren, die Nutzende eigentlich durch die IFU bekommen sollten. Zusätzlich sinken durch die schlechte Anleitung die Usability und User Experience.
So geht es besser:
- Klare, logisch aufgebaute Anleitungen mit verständlicher Sprache erstellen.
- Bilder, Diagramme und interaktive Elemente nutzen, um komplexe Inhalte verständlich zu vermitteln.
- Digitale Ergänzungen wie QR-Codes zu Video-Tutorials oder interaktiven Hilfesystemen integrieren.
- Auch die IFU sollte mit Nutzenden getestet werden.
Fazit: UX ist entscheidend für den Erfolg Ihres Medizinprodukts
Eine herausragende UX ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit für den Erfolg eines Medizinprodukts. Die hier beschriebenen UX Design Fehler können gravierende Auswirkungen haben – von ineffizienten Abläufen bis hin zu sicherheitskritischen Fehlbedienungen. Gleichzeitig sind diese Probleme vermeidbar, wenn UX frühzeitig und systematisch in den Entwicklungsprozess integriert wird.
Indem Sie Nutzende frühzeitig einbinden, Prozesse an deren Arbeitsweise anpassen und eine klare, konsistente Gestaltung sicherstellen, schaffen Sie eine Grundlage für eine hervorragende User Experience. Dies erhöht nicht nur die Akzeptanz des Produkts, sondern reduziert auch Risiken und steigert die Effizienz in der Anwendung.
Besonders in der Medizintechnik, wo Zeit, Sicherheit und Präzision entscheidend sind, kann eine durchdachte UX den Unterschied zwischen einem erfolgreichen und einem problematischen Produkt ausmachen.
Sie möchten weitere Tipps zur Gestaltung herausragender Medizinprodukte? Dann laden Sie sich hier unseren Guide „How to Design Compliant Kick-Ass Medical / Health User Interfaces“ herunter.
Wenn Sie Unterstützung bei der Optimierung der UX Ihres Medizinprodukts benötigen, stehen wir Ihnen mit unserer Expertise gerne zur Seite. Kontaktieren Sie uns, um gemeinsam an einem benutzerfreundlichen und sicheren Produkt zu arbeiten.