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Usability Engineering für Medizinprodukte – was ist das?

Autor: Marvin Kolb

Lesedauer:

Jun 2023

Dieser Artikel soll ein grundlegendes Verständnis schaffen und beantwortet folgende Fragen:

  • Was genau ist Usability Engineering und was ist Usability Engineering für Medizinprodukte?
  • Warum ist Usability Engineering für Medizinprodukte so wichtig?
  • Sind Sie verpflichtet, Usability Engineering zu machen?
  • Wie läuft Usability Engineering für Medizinprodukte ab?

Zudem finden Sie an den passenden Stellen immer Verlinkungen zu tiefergehenden Artikeln, die die einzelnen Teilaspekte detaillierter beleuchten.

 

Was ist Usability Engineering?

Usability Engineering ist ein Prozess, der zur Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit (Usability) von Produkten verwendet wird. Er ist ein Aspekt des gesamten Produktentwicklungsprozesses und konzentriert sich darauf, dass das Endprodukt einfach zu bedienen und zu verstehen ist.

Usability Engineering beinhaltet typischerweise die folgenden Schritte:

  • User Research: Das Sammeln von Daten über die Bedürfnisse, Vorlieben und Fähigkeiten der Benutzer. Dies kann durch Interviews, Umfragen, Beobachtungen und andere Methoden erfolgen.
  • Erstellen von Prototypen: Auf der Grundlage der Nutzerforschung wird ein einfacher Entwurf des Produkts erstellt. Dieser Entwurf wird dann auf seine Usability getestet und iterativ weiter ausgearbeitet durch das Feedback aus Nutzertests (siehe die nächsten beiden Punkte).
  • Nutzertests: Diese Tests sind darauf ausgerichtet, die Leistung und Zufriedenheit der echten Nutzer zu messen. Sie können entweder in einer kontrollierten Umgebung (z. B. einem Usability-Labor) oder in der tatsächlichen Umgebung, in der das Produkt verwendet wird, durchgeführt werden.
  • Iterative Verbesserung: Auf der Grundlage der Ergebnisse der Benutzertests werden Verbesserungen am Produkt bzw. Prototypen vorgenommen. Dieser Zyklus aus Testen und Verbessern wird so oft wie nötig wiederholt, um das Produkt sicher zu machen.

 

Was ist Usability Engineering für Medizinprodukte nach IEC 62366-1?

Wie definiert die IEC 62366-1 „Usability Engineering“? Usability Engineering ist die “Anwendung von Kenntnissen über menschliches Verhalten, Fähigkeiten, Einschränkungen und andere Merkmale in Bezug auf das Design von Medizinprodukten (Software eingeschlossen), Systemen und Aufgaben, um eine adäquate Usability zu erzielen“. (source: IEC 62366-1:2021-08)

Ergänzt wird: „Das Erreichen eines adäquaten Maßes an Usability kann zu einem akzeptablen Risiko bezogen auf die Benutzung des Medizinprodukts führen.“.

Usability Engineering für Medizinprodukte verfolgt also das Ziel, durch nutzerzentriertes Usability Design unakzeptable Risiken für Patienten, Nutzer und Dritte auszuschließen.

 

Warum ist Usability Engineering bei Medizinprodukten so wichtig?

Für die Zulassung Ihres Medizinprodukts in Europa ist die Voraussetzung, dass Sie alle Anforderungen der MDR erfüllen. Ein Teil davon sind die grundlegenden Leistungs- und Sicherheitsanforderungen (Annex I). Usability Engineering nach IEC 62366-1 hilft Ihnen, diese einzuhalten.

Der Hintergrund: Die starke normative Regulierung der Produktentwicklung ist besonders wichtig, weil bei Medizinprodukten Fehlbedienungen im schlimmsten Falle zum Tod führen können. Die falsche Interpretation von Daten, eine falsche oder zu späte Behandlung durch Bedienfehler – all das soll beherrscht werden!

Usability Engineering spielt also eine wichtige Rolle für die Risikobeherrschung des Medizinprodukts. Alle Bedienrisiken sollen im Usability Engineering Prozess benannt und möglichst beherrscht werden. Das ist ein wichtiger Teil des Risk Managements für die Sicherheit des kompletten Produkts.

 

Gibt es eine Pflicht zu Usability Engineering?

Auch wenn die europäische Medical Device Regulation (MDR), also die Verordnung der EU über Medizinprodukte, das Wort Usability nur selten erwähnt, ist es ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Zulassung, nachzuweisen, dass Risiken durch die Nutzung Ihres Medizinprodukts auf ein akzeptables Restrisiko reduziert wurden. Hier geht es um die im vorigen Kapitel erwähnten grundlegenden Leistungs- und Sicherheitsanforderungen aus Anhang 1 der MDR.

Sie müssen diese Anforderungen erfüllen, sind aber nicht zwangsläufig an den Usability Engineering Prozess gebunden. Sie können auch ohne den Prozess die einzelnen Teile erfüllen. Allerdings erweist sich Usability Engineering in der Praxis als ein sehr pragmatischer Weg.

Mehr erfahren Sie in unserem Artikel „Gibt es eine „Usability Pflicht“ für Medizinprodukte?“.

 

Wie läuft Usability Engineering ab?

Zusammengefasst durchlaufen Sie folgende Schritte:

  • Die Erstellung einer Use Specification. Diese beinhaltet alle relevanten Informationen über die Wirkweise des Produkts, die Nutzer, die Nutzungsumgebung und die vorgesehene medizinische Indikation.
  • Das Identifizieren aller Charakteristika Ihres User Interfaces, die mögliche Gefährdungen mit sich bringen.
  • Identifikation und Beschreibung aller Gefährdungen und Gefahrensituationen
  • Erstellung einer Liste aller Gefährdungen oder Gefahrensituationen, die in der summativen Evaluation getestet werden sollen
  • Erstellen einer User Interface Specification und einem User Interface Evaluation Plan
  • Das Ausdesignen des User Interfaces, gegebenenfalls mithilfe von iterativen entwicklungsbegleitenden formativen Evaluationen
  • Die Durchführung einer abschließenden summativen Evaluation der Usability des User Interfaces

Sie möchten tiefer in das Thema einsteigen? In unserem Artikel „Usability Engineering für Medizinprodukte nach IEC 62366-1“ haben wir den kompletten Prozess Schritt für Schritt mit allen Details erklärt.

 

Usability Engineering für die FDA:

Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) ist sogar noch etwas direkter als die europäische MDR: Sie fordert ganz klar den Usability Engineering Prozess (bzw. Human Factors Engineering Prozess) und liefert dafür sogar ein umfangreiches Guidance Dokument.

Die FDA hat jedoch auch eigene Anforderungen und Leitlinien, die bei der Gestaltung von Medizinprodukten zu beachten sind. Einige dieser Anforderungen können spezifischer oder strenger sein als die in der IEC 62366-1 festgelegten.

Es ist also nicht garantiert, dass ein Produkt, das die Anforderungen der IEC 62366-1 erfüllt, automatisch alle Anforderungen der FDA erfüllt. Es ist wichtig, die spezifischen FDA-Anforderungen und -Richtlinien zu prüfen und sicherzustellen, dass das Produkt diesen gerecht wird.

 

Fazit

Usability Engineering ist ein essenzieller Teil der Produktentwicklung, speziell bei Medizinprodukten. Es zielt darauf ab, Produkte zu gestalten, die nicht nur effektiv und sicher sind, sondern auch benutzerfreundlich. 

Für welches Medizinprodukt müssen Sie Usability Engineering anwenden? Melden Sie sich über unser Kontaktformular.

Gerne können Sie mit uns Ihren konkreten Fall in einem kostenlosen Kennenlerngespräch durchsprechen. Wir freuen uns auf Sie!

 

 

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