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Wie arbeiten Risk Management und Usability Engineering zusammen?

Autor: Benjamin Franz

Lesedauer:

Jun 2023
In diesem Artikel beantworten wir Ihnen die folgenden Fragen:

  • Warum gibt es Sinn, dass die beiden Prozesse ineinandergreifen?
  • Was ist das Ziel des Risikomanagements nach ISO 14791?
  • Was ist das Ziel des Usability Engineering Prozesses nach IEC 62366-1?
  • Was liefert das Risk Management dem Usability Engineering Prozess zu?
  • Was liefert der Usability Engineering Prozess dem Risk Management zu?
  • Worauf müssen Sie bei einer Zusammenarbeit achten?

Wenn wir im Folgenden Artikel von Risikomanagement reden, dann meinen wir das Risikomanagement für Medizinprodukte, wie es in der ISO 14791 („Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte“) festgelegt ist.

Wenn wir von Usability Engineering sprechen, dann reden wir von Usability Engineering nach dem Prozess, der in der IEC 62366-1 („Anwendung der Gebrauchstauglichkeit auf Medizinprodukte“) zu finden ist.

Fangen wir direkt mit den Grundlagen an.


Warum ergibt es Sinn, dass die beiden Prozesse ineinandergreifen?

Risikomanagement und Usability Engineering arbeiten eng zusammen, weil beide Disziplinen das gemeinsame Ziel verfolgen, die Sicherheit und Wirksamkeit von Medizinprodukten zu gewährleisten. Sie tun dies jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven.

Risikomanagement nach ISO 14971 konzentriert sich auf die Identifikation, Bewertung, Kontrolle und Überwachung von Risiken, die sich aus der technischen und klinischen Funktion des Geräts ergeben. Es berücksichtigt alle möglichen Risiken, die während des gesamten Lebenszyklus des Produkts auftreten können, von der Konzeption über die Herstellung, den Gebrauch und schließlich die Entsorgung.

Usability Engineering nach IEC 62366-1 konzentriert sich dagegen auf die menschlichen Faktoren – wie wird das Gerät tatsächlich vom Benutzer verwendet? Wie einfach und intuitiv ist es zu bedienen? Welche Fehler können beim Gebrauch auftreten und wie können diese vermieden werden? Fehlbedienungen, die aus schlechter Usability resultieren, können zu ernsthaften Sicherheitsproblemen führen.

Dabei gilt: Usability Engineering ist ein Teil des großen Risikomanagements. Man könnte sagen, Usability Engineering ist Risikomanagement bezogen auf das User Interface eines Medizinprodukts.

Beide Ansätze sind für die Sicherheit von Medizinprodukten von entscheidender Bedeutung. Indem sie eng zusammenarbeiten, können Risikomanagement und Usability Engineering ein vollständigeres Bild der Risiken liefern, die mit einem medizinischen Gerät verbunden sind, und so dazu beitragen, dass das Endprodukt sicher und effektiv für den vorgesehenen Gebrauch ist.

Schauen wir uns die Ziele beider Prozesse etwas genauer an, um das zu verstehen.

Was ist das Ziel des Risikomanagements nach ISO 14791?

Das Ziel des Risikomanagements nach ISO 14971 besteht darin, Ihnen als Hersteller ein klares System für die Identifizierung, Bewertung, Kontrolle und Überwachung von Risiken zu bieten, um sicherzustellen, dass das Medizinprodukt so sicher wie möglich ist. Das heißt, dass nach ISO 14971 das Risiko so weit wie möglich reduziert werden sollte und jedes verbleibende Risiko akzeptabel sein sollte im Vergleich zum Nutzen, den das Produkt bietet.

Die spezifischen Ziele des Risikomanagements nach ISO 14971 sind:

  • Risikoanalyse von Gefährdungen und Risikosituationen, die mit dem Medizinprodukt verbunden sind.
  • Risikobewertungen, die sich aus diesen Gefährdungen und Risikosituationen ergeben.
  • Risikobeherrschung: Kontrolle dieser Risiken durch die Anwendung geeigneter Maßnahmen.
  • Überwachung der Wirksamkeit dieser Kontrollmaßnahmen während des gesamten Lebenszyklus des Geräts.
  • Bewertung der Gesamtrisikos, das mit der Anwendung des Geräts verbunden ist, und Festlegung, ob diese Risiken akzeptabel sind.

Was ist das Ziel des Usability Engineering Prozesses nach IEC 62366-1?

Die IEC 62366-1 ist eine internationale Norm, die Anforderungen für den Usability-Engineering-Prozess für Medizinprodukte festlegt und mit den Anforderungen der MDR konform ist. Sie richtet sich an Sie als Hersteller von Medizinprodukten und gibt Ihnen einen Leitfaden für die Integration von Usability in den gesamten Produktentwicklungsprozess.

Das Hauptziel des Usability-Engineering-Prozesses nach IEC 62366-1 ist es, die Sicherheit von Medizinprodukten zu gewährleisten, indem die Gebrauchstauglichkeit während der Entwicklung und dem Design des Produkts berücksichtigt wird. Die Norm geht davon aus, dass Medizinprodukte, die einfacher zu bedienen sind, auch sicherer sind, da die Wahrscheinlichkeit von Bedienungsfehlern reduziert wird. Zudem gibt sie vor, dass man kritische Situationen vorab identifizieren und testen muss.

Die spezifischen Ziele des Usability-Engineering-Prozesses nach IEC 62366-1 sind:

  • Identifikation der Benutzer, ihrer Aufgaben und Nutzungsumgebungen.
  • Identifikation und Bewertung von gefährdungsbezogenen Nutzungsszenarien.
  • Entwicklung und Implementierung von Maßnahmen zur Reduzierung oder Beseitigung der identifizierten Risiken.
  • Durchführung von summativen Evaluationen (meist Usability-Tests), um die Effektivität der implementierten Maßnahmen zu bewerten.
  • Dokumentation des gesamten Prozesses zur Überprüfung und Validierung.

Was liefert das Risk Management dem Usability Engineering Prozess zu?

Folgende Inhalte werden dem Usability Engineering durch das Risk Management zugeliefert:

Identifizierte Risiken: Das Risikomanagement ist dafür verantwortlich, potenzielle Risiken im Zusammenhang mit dem Medizinprodukt zu identifizieren. Diese Risiken können sich auf Aspekte beziehen, wie die Funktionsweise des Produkts, seine Wirkung auf Patienten oder die Wechselwirkung mit anderen Geräten oder Systemen. Einige dieser Risiken können sich auf die Bedienbarkeit des Produkts auswirken und sollten daher in den Usability-Engineering-Prozess einfließen.
Risikoeinschätzungen und -bewertungen: Diese liefern wertvolle Informationen über die Wahrscheinlichkeit und Schwere potenzieller Risiken. Diese Daten können den Usability-Engineers helfen, die möglichen Auswirkungen von Nutzungsfehlern oder Designproblemen besser zu verstehen und geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Bedienbarkeit zu entwickeln.
Risikominderungsstrategien: Das Risikomanagement entwickelt Strategien, um die identifizierten Risiken zu minimieren. Diese können auch Aspekte der Benutzerführung, der Schulung oder des Designs betreffen, die direkt in den Usability-Engineering-Prozess einfließen.
Post-Market Surveillance Daten: Risikomanagement beinhaltet auch die Überwachung des Produkts, nachdem es auf den Markt gebracht wurde. Informationen über tatsächliche Vorfälle oder nahe Beinahe-Vorfälle können wertvolle Erkenntnisse für die weitere Verbesserung der Usability liefern.

Was liefert der Usability Engineering Prozess dem Risk Management zu?

Die vom Usability Engineering Prozess gelieferten Informationen können dem Risk Management dabei helfen, potenzielle Risiken zu identifizieren und zu mindern. Folgendes wird geliefert:

  • Benutzerprofile und Nutzungskontexte: Durch die Untersuchung und Definition von Benutzerprofilen und Nutzungskontexten können Usability-Ingenieure mögliche Risiken aufdecken, die speziell auf bestimmte Benutzergruppen oder spezifische Anwendungsszenarien zutreffen könnten.
  • Informationen über Nutzungsfehler: Usability-Tests können Aufschluss über mögliche Fehlerquellen geben, die auf eine suboptimale Gestaltung des Benutzerinterfaces zurückzuführen sind. Solche Informationen können verwendet werden, um Risiken zu identifizieren, die mit der Bedienung des Geräts verbunden sind.
  • Ergebnisse von Nutzerstudien und Usability-Tests: Diese können wichtige Informationen über das Verhalten von Nutzern liefern, ihre Präferenzen und Schwierigkeiten beim Umgang mit dem Medizinprodukt. Diese Informationen können dazu beitragen, Risiken im Zusammenhang mit der Bedienung und Anwendung des Produkts zu identifizieren und zu mindern.

Diese Informationen fließen in den Risikomanagementprozess ein und helfen dabei, eine umfassendere und detailliertere Risikoanalyse durchzuführen. Sie ermöglichen es dem Risikomanagement-Team, fundiertere Entscheidungen zu treffen und effektivere Strategien zur Risikominderung zu entwickeln.

Worauf sollten Sie bei einer Zusammenarbeit achten?

Wir haben folgende Punkte für Sie identifiziert (diese sind aus Sicht des Zuständigen für Usability Engineering geschrieben):

  • Die Norm und die darin beschriebenen Usability Engineering-Aktivitäten erfordern eine enge Zusammenarbeit zwischen Risikomanagement und Usability Engineering. Schaffen Sie also eine Basis für diese enge Zusammenarbeit. Bleiben Sie in Verbindung und planen Sie regelmäßige Treffen (z. B. wöchentlich), um sich gegenseitig über Änderungen zu informieren.
  • Vermeiden Sie Inkonsistenzen zwischen Risikomanagement und allen risikorelevanten Dokumenten, die im Zuge des Usability Engineerings erstellt werden.
  • Vermeiden Sie Doppelarbeit. Stimmen Sie sich mit dem Risikomanagement auf eine gemeinsame Strategie ab, um nutzungsbezogene Risiken zu dokumentieren und zu bewerten, bevor Sie mit der Bewertung und Identifizierung von Nutzungsfehlern und -risiken beginnen
  • Verschaffen Sie sich vor Beginn einen Überblick über den Stand des Risikomanagements und prüfen Sie, welche Gefährdungen und Gefahrensituationen nutzungsbezogen sein könnten
  • Holen Sie aktiv das Feedback und den Input vom Risikomanagement in Bezug auf die Bewertung möglicher Nutzungsfehler, Gefahren und gefährlicher Situationen ein. Besprechen Sie mögliche Maßnahmen zur Risikominderung gemeinsam.
  • Vergessen Sie nicht, alle Sicherheitsinformationen, die von Risikomanagement zur Risikominderung bei der Kennzeichnung des Produkts verwendet werden, in Ihrem Usability Engineering Prozess zu berücksichtigen. Ihre Wirksamkeit muss in der abschließenden Bewertung (summative Evaluation) bewertet werden.
  • Besprechen Sie nach der summativen Bewertung die Ergebnisse mit dem Risikomanagement und analysieren Sie gemeinsam das Restrisiko.

Fazit

Risikomanagement und Usability Engineering sind ein dynamisches Duo, das eng zusammenarbeitet, um sichere und benutzerfreundliche Medizinprodukte zu gestalten.

Das Risikomanagement liefert dem Usability Engineering Prozess identifizierte Risiken, Risikobewertungen und Risikominderungsstrategien sowie Post-Market Surveillance Daten, die wertvolle Erkenntnisse für die Verbesserung der Gebrauchstauglichkeit bieten.

Im Gegenzug liefert der Usability Engineering Prozess dem Risikomanagement Benutzerprofile und Nutzungskontexte, Informationen über Nutzungsfehler, Ergebnisse von Nutzerstudien und Usability-Tests sowie Empfehlungen zur Verbesserung der Gebrauchstauglichkeit, um Risiken zu reduzieren und fundierte Entscheidungen zu treffen.
Brauchen Sie Hilfe beim Usability Engineering Ihres Medizinprodukts? Was ist Ihr konkreter Fall? Kommentieren Sie diesen Beitrag oder melden Sie sich über unser Kontaktformular. Wir freuen uns auf Sie.

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