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Was versteht man unter „Usability“ im Medical-Bereich?

Autor: Benjamin Franz

Lesedauer:

Feb 2022

Schlechte Usability eines Medizinprodukts kann im Ernstfall zu Verletzungen führen und das Wohl von Patienten oder Nutzern gefährden. Für Sie als Hersteller gibt es natürlich auch das Risiko, dass Ihr Produkt nicht zugelassen wird oder, dass Sie für Fehler im Produkt haften. Aber was genau versteht man unter Usability und was sind die Vorgaben, an die man sich bei der Produktentwicklung halten muss? Und warum ist Usability so wichtig für ein Produkt? Wie erreichen Sie eine gute Usability für Ihr Produkt? Wenn Sie diese Fragen interessieren, dann sind Sie in unserem Grundbegriffe-Artikel genau richtig.

Wir erklären Ihnen schnell und präzise, was sich hinter dem Wort „Usability“ verbirgt und liefern Ihnen Positiv- und Negativbeispiele aus der Praxis.

Was versteht man unter „Usability“?

Die DIN-Norm DIN EN ISO 9241-11 legt Usability als die Gebrauchstauglichkeit eines (Software-)Produkts fest. Definiert wird sie als das „Ausmaß, in dem ein System, ein Produkt oder eine Dienstleistung durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.“

Die Definition der IEC 62366 ist die Folgende: Usability ist die „Eigenschaft der Benutzer- Produkt-Schnittstelle, die die Effektivität, Effizienz, Lernförderlichkeit und Zufriedenstellung des Benutzers umfasst.“

Die Produktanforderungen an die Gebrauchstauglichkeit sind also Effektivität, Effizienz und Zufriedenstellung der Nutzung. Im Medical-Bereich liegt besonderer Fokus auf der sicheren und fehlerfreien Bedienung eines Produkts. Dabei ist es wichtig, festzulegen, für welchen Gebrauch ein Medizinprodukt gedacht ist und wer als Nutzer in Frage kommt. Auch der Nutzungskontext kann für die Gebrauchstauglichkeit eine große Rolle spielen. Ein leiser Warnton in einer lauten und hektischen Umgebung würde hier als schlechte Usability gelten.

Warum ist Usability so wichtig?

Zum einen müssen Sie für Ihr Medizinprodukt eine gute Gebrauchstauglichkeit nachweisen. Können Sie das nicht, wird es nicht zugelassen. Zum anderen kann gute Usability Ihrem Produkt einen klaren Marktvorteil bringen. Auch die User-Experience, und damit das Nutzererlebnis Ihrer Kunden profitiert hier sehr.

Aber warum genau wird im Medizinbereich ein so großes Augenmerk auf die Gebrauchstauglichkeit gelegt? Eine Fehlbedienung kann im Ernstfall zu Verletzungen des Patienten, des Nutzers oder Dritter führen. Entsprechend ist es sehr wichtig, alle Fehlbedienungen, die aus schlechter Gebrauchstauglichkeit resultieren, so weit wie möglich auszuschließen. Da dies vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist, sind Sie in der Pflicht für Ihr Produkt hier entsprechend nachzuweisen, dass Sie sich mit dem Thema zielführend auseinandergesetzt haben. Um überhaupt ein zugelassenes Medizinprodukt zu haben, müssen Sie sich also um die Gebrauchstauglichkeit bemühen.

Wie erreichen Sie eine gute Usability?

Für eine gute Usability müssen Sie Daten von echten Nutzern sammeln. Nur so können Sie sicher gehen, dass Sie ein Produkt schaffen, das sowohl sicher in der Nutzung als auch an die Erwartungshaltung der Nutzer angepasst ist.

Für eine gute Gebrauchstauglichkeit müssen also Nutzertests gemacht werden. Das heißt: Nutzer bekommen einen Prototypen des Medizinprodukts an die Hand, um damit unter Beobachtung kritische und häufige Aufgaben unter realistischen Bedingungen auszuführen. Dies passiert bestmöglich in einem iterativen Prozess, der nach und nach die herausgefundenen Nutzerbedürfnisse in klare Designvorgaben übersetzt.

Einen tieferen Einblick darin, wie wir Usability Testing machen, können Sie auf unserer Seite gewinnen.

MDR, IEC 62366, FDA und die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit eines Produkts

Für die Gestaltung der Usability sind zwei Regularien besonders interessant: der Standard IEC 62366, der die gesetzlichen Forderungen aus Europa, den USA und Großbritannien vereint, und die Medical Device Regulation. Letztere ist die Europäische Medizinprodukte-Verordnung.

Ziel ist es, einen Entwicklungsprozess zu garantieren, der sich an der Gebrauchstauglichkeit des Produkts ausrichtet. Im Laufe dieses Prozesses müssen Sie den Nutzungskontext Ihres Produkts definieren, die Usability-Anforderungen spezifizieren und diese dann in einem Validierungsverfahren nachweisen.

Konkrete Anforderungen an das Usability Engineering eines Medizinprodukts finden sich auch in der MDR. Auch hier sollen die Spezifizierung, die Verifizierung und die Validierung der Usability eines Medizinprodukts festgelegt werden:

  • Risiken durch die Ergonomie des Produkts müssen minimiert werden.
  • Die Sicherheit des Patienten, des Nutzers und eventueller Dritter während der Nutzung muss gegeben sein.
  • Anzeige- und Kontrolldisplays müssen schnell und fehlerfrei im jeweiligen Nutzungskontext zu deuten sein.
  • Eine Gefahr für ungeschulte Dritte muss ausgeschlossen werden können.
  • Auch wenn das Medizinprodukt bereits auf dem Markt ist, muss weitere Überwachung der Usability stattfinden. Zum Beispiel durch Nutzertests und Studien.
  • Auch jegliche Anleitungen und Gebrauchsanweisungen, die mit dem Produkt geliefert werden, müssen klar formuliert und richtig sein.

Die amerikanische FDA (Food and Drug Administration) liefert ein Richtlinien-Dokument mit dem Namen „Applying Human Factors and Usability Engineering to Medical Devices“. Auch hier soll die sichere und effektive Nutzung eines Medizinprodukts sichergestellt werden. Das Dokument liefert klare Empfehlungen für Hersteller bezüglich des Designs und potenziellen Verbesserungen der Gebrauchstauglichkeit. Die Zulassung für den amerikanischen Markt erfolgt mithilfe des 510K Zulassungsverfahrens. Auch hierzu liefert die FDA ein Richtlinien-Dokument.

Usability im Medical-Bereich: Positiv- und Negativbeispiele

Wie eine schlechte Usability Schaden anrichten kann beweist folgendes Beispiel:

Die Nielsen & Norman Group berichtete von einer Software, die ein Krankenhaus einsetze, um ihre Ärzte die Medikamentenmenge ihrer Patienten bestimmen zu lassen. Eine Studie fand heraus, dass diese Software ganze 22 Wege zuließ, den Patienten falsche Medikamente zuzuteilen. Der Großteil dieser 22 Fehlbedienungen war auf schlechte Gebrauchstauglichkeit durch eine unnötig komplizierte Bedienung und einen missverständlichen Informationsfluss zurückzuführen. (source)

Schlechte Usability sorgte sogar dafür, dass ein Texaner 2014 mit Ebola aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Dieser Fehler konnte auf die Software für die elektronische Krankenakte des Patienten zurückgeführt werden. Eine wichtige Information, nämlich eine vom Patienten zuvor unternommene West-Afrika-Reise, wurde nur an die Krankenpfleger, nicht aber an die Ärzte, die mit der Diagnostik beauftragt waren, ausgespielt. (source)

Ein Positivbeispiel für gute Usability im Medical-Bereich ist ein gut gestaltetes Blutdruckmessgerät. Mit diesem Gerät kann ein Laie nicht nur selbstständig und ohne Verletzungsrisiko den eigenen Blutdruck messen, sondern auch deuten. Sehr gute Usability würde hier bedeuten, dass die Werte auf dem Display farbig dargestellt werden und somit ohne viel Vorwissen interpretiert werden können. Grün für einen gesunden Blutdruck, orange für mittelgute Werte und rot bei stark überhöhtem Blutdruck. Ebenfalls zur guten Usability zählt die klare, mit Bildern gestaltete, Bedienungsanweisung, die direkt auf die Manschette des Geräts gedruckt ist und keinerlei Zweifel daran lässt, wie das Gerät anzubringen und zu nutzen ist.

Fazit

Usability bedeutet mehr, als nur eine gute Benutzbarkeit. Nach Vorschrift umgesetzt, sorgt sie für eine sichere und möglichst einfache Nutzung eines Medizinprodukts. Dabei gilt es vor allem die Regularien der MDR, der FDA und der IEC 62366-1 in den Gestaltungsprozess mit einzubeziehen.

Wo ist Ihnen im beruflichen oder privaten Umfeld die Usability eines Medizinprodukts besonders aufgefallen? Gibt es vielleicht sogar einen konkreten Fall, in dem Sie sich eine bessere Usability sehnlichst wünschen? Vor welchen Herausforderungen stehen Sie in der Entwicklung Ihres Medizinprodukts? Gerne können Sie diesen Beitrag kommentieren oder sich über unser Kontaktformular melden.

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